Höhere Gewalt
Auf Grund der Coronavirus-Pandemie wurden Bundesweit alle Veranstaltungen im Kulturbereich verboten. Viele Theater zahlen seither keine Honorare und berufen sich als Begründung auf den Passus der „Höheren Gewalt“. Hierzu eine Einschätzung von Rechtsanwalt Oliver Kummer.
Passus Höhere Gewalt: Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg!
Der Bund der Szenografen hat den Rechtsanwalt Oliver Fabian Kummer beauftragt, eine juristische Einschätzung zu dem Sachverhalt der "Höheren Gewalt" zu verfassen. RA Kummer bezieht sich dabei auf die Situation der Bühnen- und Kostümbilder*innen.
Die folgende Ausführung lässt den Schluss zu, dass Theaterleitungen geltende Verträge auch zugunsten der Gäste auslegen können - und das machen die Theater teilweise auch – notfalls durch politische Rückendeckung bzw. konkrete Genehmigung der Aufsichtsbehörden.
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Oliver Kummer: Höhere Gewalt
03.04.2020
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Bühnenschaffende und Theaterleitungen tun gut daran besonders in dieser Zeit miteinander zu reden, die Situation einzuschätzen, die gegenseitigen Interessen abzuwägen, die wirtschaftlichen, künstlerischen und sozialen Aspekte sorgsam zu gewichten und danach faire Lösungen für Alle zu erarbeiten.
Für den Fall, dass ein gerechter Interessenausgleich nicht erreicht wird, mag ein Blick auf die Rechtslage als Argumentationshilfe dienen.
Was man vorab sagen kann: Ein zentraler Grundsatz im Schuldrecht (das für Regieteamverträge maßgebliche Werkvertragsrecht ist ein Teil davon) lautet immer noch: "Verträge sind einzuhalten". Die Möglichkeit, sich einseitig von Verträgen zu lösen ohne zahlen zu müssen ist die Ausnahme, auch in Zeiten der Pandemie.
Es reicht also keinesfalls Höhere Gewalt festzustellen und zu meinen, damit sei man von allen oder dem Großteil der Zahlungspflichten erlöst. Das sehen ja die meisten Höhere - Gewalt - Klauseln in den vorliegenden Werkverträgen auch nicht vor. Mit einer für die Gäste wohlmeindenen Anwendung können durch diese besonders im Bereich Bühne und Kostüme durchaus faire Lösungen erzielt werden.
Die konkrete Rechtslage muss allerdings immer anhand des Einzelfalls geprüft werden; eine Menge tatsächlicher Fragen sind zunächst zu klären: etwa der je konkrete Vertragsinhalt, das Stadium der Produktion, Art und Zeitpunkt der Erklärungen und Handlungen der Beteiligten, die Rechtslage hinsichtlich der Pandemie zum jeweils relevanten Zeitpunkt.
Der Übersichtlichkeit halber sei jetzt nur ein Grundfall durchgespielt, schematisch, sehr verkürzt, wohlgemerkt:
Ein Theater löst sich unter Berufung auf Höhere Gewalt von einem Werkvertrag, der eine (wirksame) Höhere-Gewalt Klausel enthält - sagt die Produktion endgültig ab.
Ein Aufführungsverbot durch etwa eine Verordnung der Bundesregierung ist Höhere Gewalt. Ob dagegen die Schließung der Werkstätten aufgrund von Vorsichtsmaßnahmen Höhere Gewalt/Unmöglichkeit ist, ist dagegen fraglich.
Und das wird relevant, wenn man sich den Kern sehr vieler der vorkommenden Höhere - Gewalt - Klauseln anschaut:
Danach muss:
- die Anfertigung der Bühne/Kostüme
- infolge Höhere Gewalt
- unmöglich
werden.
Wir sehen: Es geht konkret um die Möglichkeit der Anfertigung des Bühnen- oder Kostümbilds. Die ist rechtlich möglich, solange Werkstätten arbeiten dürfen; im Sinne von rechtsverbindlichen Erlaubnissen bzw. Verboten, nicht Vorsorgemaßnahmen (so begründet sie auch sein mögen).
Danach verzeichnen wir keine Anwendung dieser Klausel, das Theater kann sich unter Berufung auf diese Klausel nicht vom Vertrag lösen. Was überraschen mag, denn eine Bühne oder Kostüme ohne dazugehörige Aufführung erfüllen ihren Zweck allenfalls bedingt.
Das nennt man dann aber nicht Höhere Gewalt oder Unmöglichkeit, sondern Zweckfortfall. Die vertraglichen Leistungen können erbracht, denn das Werk kann entworfen und angefertigt werden, aber der dem Vertrag zugrundeliegende Zweck, der aber nicht ausdrücklich Vertragsinhalt geworden ist, ist fortgefallen. Der Zweck, das Werk mit der Inszenierung zumindest zur Aufführungsreife zu bringen.
Hier ist der Vertrag nach den Regeln des Wegfalls der Geschäftsgrundlage (§ 313 BGB) den Umständen nach anzupassen. Diese Anpassung kann zeitlicher oder auch finanzieller Natur sein, alles was fair erscheint nach u.a. Abwägung der Interessen der Vertragsparteien, der Risikoverteilung nach dem Vertrag, nach dem Grundsatz "Verträge sind einzuhalten".
Im Einzelnen ist das recht umstritten, und die Anwendung dieses Prinzips unterliegt weiterer Voraussetzungen, die hier nicht untersucht werden sollen und die auch keinesfalls immer gegeben sind.
Dieser Situation ist gemein: Die einseitige Lösung vom Werkvertrag (ohne Pflicht zur Gagenzahlung) ist die Ausnahme. Verträge wie das Gesetz stellen hohe Anforderungen daran. Diese müssen von den Theatern dargelegt und bewiesen werden.
Es kommt also in unserem Grundfall zu einer Verschiebung der Perspektive in rechtlicher Hinsicht. Wenn man davon ausgeht, dass Viele denken: Pandemie ist höhere Gewalt und dann gibt es keine rechtliche Pflicht zur (vollen) Gagenzahlung. Eine Verschiebung hin zu Vertragstreue und Zahlungspflicht, weg von der Möglichkeit der Theater, sich einseitig von den Verträgen lösen zu dürfen, ohne einen wesentlichen Teil der Gage zahlen zu müssen.
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Oliver Fabian Kummer
Rechtsanwalt Oliver Kummer berät schwerpunktmäßig und umfassend Bühnenschaffende, Film- und Fernsehschaffende und Bildende Künstler sowie Unternehmen und Institutionen, die auf diesen Gebieten tätig sind. Neben der Vertragsgestaltung übernimmt er die Verhandlungsführung und das Vertragsmanagement für nationale wie internationale Produktionen. RA Kummer ist außerdem Kooperationspartner vom Bund der Szenografen, für dessen Mitglieder er kostenfreie Erstberatung bei Fragen zum Arbeits- und Vertragsrecht anbietet.
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Handlungsempfehlungen für Bühnen- und Kostümbildner*innen bei ungeklärten Vertragserfüllungen
Unsere Umfrage zur Corona-Krise brachte verheerende Ergebnisse zu Tage: Unter 2% der Theater zahlen freischaffende Bühnen- und Kostümbildner*innen aus obwohl ca. 62 % schon Leistungsphasen wie Abgaben, Probenbeginn oder Endproben erbracht haben!
Dass die Festangestellten weiterbezahlt werden, wenn auch teilweise in Zeitarbeit, ist gut und richtig. Aber es muss dringend eine Gleichbehandlung aller Künstler*innen hergestellt werden! Es geht nicht an, dass verschiedene Beschäftigungsverhältnisse zu Ungerechtigkeiten in Krisenzeiten führen. Theaterarbeit ist strukturiert in Festanstellung und freischaffende Tätigkeit. Niemand ist ersetzbar! Deshalb fordern wir Ausfallhonorare für Produktionsteams und freie Künstler*innen an öffentlichen Theatern und die Entlohnung bereits geleisteter Arbeit.
Mit dieser Handreichung möchten wir euch hilfreiche Hinweise geben, worauf ihr in der jetzigen Situation achten solltet, auch wenn jeder Fall anders gelagert ist.
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1. Auflösungsverträge
Einige Theater schicken gerade unaufgefordert Auflösungsverträge an uns Bühnen- und Kostümbildner*innen.
Diese sind nur zu unterzeichnen, wenn ihr mit den dort beschriebenen Bedingungen einverstanden seid.
In der Regel sollen wir aber auf alle weiteren Zahlungen verzichten. Sobald ihr diesen Auflösungsvertrag unterschreibt, ist das Theater raus.
Denn euer ursprünglicher Vertrag ist immer noch gültig.
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2. Höhere Gewalt
Bitte lest den Text unseres Rechtsanwalts Oliver Kummer dazu. Er erklärt sehr präzise die rechtliche Situation. Besonders die Beschreibung der Begriffe der „Unmöglichkeit“ und der "Höheren Gewalt", auf den sich die Theater beziehen, werden hier verständlich definiert.
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3. Veruntreuung öffentlicher Gelder
Was mache ich, wenn das Theater behauptet, dass eine Auszahlung der Gage Veruntreuung von öffentlichen Geldern sei?
Viele Theater behaupten das. Dazu findet ihr hier einen Text, mit dessen Hilfe ihr diese Behauptung entkräften könnt.
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4. Was macht dein Theater
Versucht, besonders viel über die Situation an den Theatern, die euch nicht bezahlen wollen, herauszufinden:
- haben die Werkstätten geöffnet,
- wenn ja wie, gibt es Produktionen, die nicht abgesagt, nur verschoben wurden,
- finden Proben als Videoproben u. ä. statt,
- wie arbeiten die anderen Abteilungen zurzeit an den Häusern,
- wann soll der Präsenz-Probenbetrieb wieder aufgenommen werden,
- wie sind die genauen Beschränkungen durch die Landesregierung, in Deutschland dürfen alle Betriebe weiterhin arbeiten, in Italien ist das tatsächlich verboten, aber das macht einen großen Unterschied.
- etc.
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5. Best-Practice-Beispiele
Sammelt „Best-Practice-Beispiele“ und schickt sie uns auch zu, damit wir ein Kompendium dazu anlegen können.
Hier schon einmal zwei uns bekannte:
- Theater Münster zahlt alle Verträge
- Konzert Theater Bern steht zu allen abgeschlossenen Verträgen und eine Realisierung wird erfolgen, selbst wenn es sich in die übernächste Spielzeit und die neue Intendanz ziehen sollte.
- bitte sammeln und schicken!
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6. Informationen hinterfragen
Es wird gerade vieles rumgeschickt und gepostet, einiges davon stimmt einfach nicht. Haltet Euch an die Fakten. Im Zweifelsfall lieber Kontakt mit uns aufnehmen.
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7. Das Gespräch suchen
Das abgedroschene Sprichwort „Vertrag kommt von vertragen“ kann immer noch hilfreich sein.
Wenn ihr die Punkte 1 bis 6 verinnerlicht habt, versucht mit dem Theater sachlich ins Gespräch zu kommen und appelliert an ihr Gewissen.
Ihr habt mit den o. g. Punkten alle Gegenargumente gegen Intendanten*innen, die jetzt an euren Gagen sparen wollen.
Einen Vertrag kann man nicht einfach einseitig auflösen. Das könnt ihr den Theatern klarmachen.
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8. Bei uns melden
Sollte das alles nicht helfen und ihr kommt nicht weiter, könnt ihr euch gerne bei uns melden. Aber auch wenn es positiv laufen sollte, bitten wir euch, uns das mitzuteilen für die Best-Practice-Sammlung.
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(Bedenkt bitte auch, wie viel von eurer Gage gerechtfertigt ist und was ihr davon braucht, es ist sicher ein solidarisches Zeichen, wenn wir auch unseren Teil dazu beitragen, da alle anderen auch Opfer bringen müssen.)
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Zu Punkt 3: Allgemeine Nebenbestimmungen
Hier ein Auszug aus ANBest-I ab 13.06.2018, veröffentlicht im Gemeinsamen Ministerialblatt (GMBl Nr. 29/2018, S. 568)
Was mache ich, wenn das Theater behauptet, dass eine Auszahlung der Gage Veruntreuung von öffentlichen Geldern sei?
Sollten Intendant*innen das behaupten, beziehen sie sich auf die Allgemeine Nebenbestimmungen für Zuwendungen zur institutionellen Förderung (ANBest-I). Das ist eine bundesweit seit 13. April 2018 geltende Nebenbestimmung, die die Verwendung von öffentlichen Zuschüssen regelt. Sie wurde also weit vor Corona entwickelt und wurde bisher auch noch nicht angeglichen. Trotzdem trägt sie eine Klausel in sich, die für Theaterleitungen für solche Fälle rüstet und eine Gleichbehandlung von Freien und Angestellten erlaubt.
Hier steht zwar, dass die „Zuwendung wirtschaftlich und sparsam zu verwenden“ ist (Nr. 1.1), aber in Nr. 1.7 steht:
"Zahlungen vor Empfang der Gegenleistung dürfen nur vereinbart oder bewirkt werden, soweit dies allgemein üblich oder durch besondere Umstände gerechtfertigt ist.“
Das bedeutet, dass sich die Theaterleitung in diesen Krisenzeiten jederzeit auf die besonderen Umstände während dieser Pandemie beziehen kann und somit eine Zahlung vor Empfang der Gegenleistung möglich wird.
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Es ist also auch hier nur eine Frage des Willens!
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